Dieses schmale Buch war in Bulgarien eine kleine Sensation. Es greift ein historisches Tabu auf, dem die bulgarische Literatur die längste Zeit ausgewichen ist: das sogenannte „Volksgericht“ im Sofia der Jahre 1944/45, das die während des Zweiten Weltkriegs Regierenden in Schauprozessen nach Moskauer Vorbild aburteilte und im Anschluss binnen weniger Monate einen Großteil der alten bulgarischen Elite ausmerzte.
Aus historischen Quellen baut Igov eine schlüssige Fiktion des „kleinen Mannes“, dem die Stunde schlägt: die Figur des Emil Stzrezov, eines randständigen proletarischen Jungpoeten aus der Provinz, der in atemberaubender Dynamik zum erst zum Mitläufer, dann zum „Kader“ und eilfertigen Ankläger im Dienste des neuen Terrorregimes wird. Eine Geschichte um Schuld und Sühne, Ermächtigung und Verstrickung, grandios vorgetragen aus der Perspektive der „Sanftmütigen“ des Titels, eines subalternen Kollektivs. Wie ein antiker Chor erzählen und kommentieren sie das Geschehen, um zuletzt selbst vorgeführt zu werden – ein gewagter Kunstgriff, der hervorragend gut aufgeht.
Dies ist ein dichter Roman im kleinen Format, lesbar, aber nicht trivial, lakonisch im Grundton, ein ganzes Register von Stimmlagen fein darum herum komponiert. Hier sucht und findet ein junger bulgarischer Autor unmittelbar Anschluss an die modernsten Tendenzen der europäischen Literatur. Der sorgfältig edierte Band wurde von Andreas Tretner übersetzt, einem erfahrenen und preisgekrönten Spezialisten für die osteuropäischen Sprachen.
Angel Igov, geb. 1981, ist ein Sofia/Bulgarien lebender Schriftsteller, Übersetzer und
Journalist. Sein Werk umfasst mittlerweile drei Romane, Erzählungen und Essays. Er
wurde vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem renommierten bulgarischen Elias Canetti-Preis. Seine Erzählungen wurden u. a. ins Französische, Polnische und Deutsche übersetzt.
Igov unterrichtet Englische Literatur und Übersetzen an der Sofioter Universität
„Hl. Kliment Ochridski“. In seiner Übersetzung erschienen Romane und Lyrik von
Paul Auster, Martin Amis, Ian McEwan, Angela Carter, John Banville, William Wortsworth, Colson Whitehead, Jeremy Page, T. S. Eliot, J. R. R. Tolkien und Samuel Taylor Coleridge.
Angel Igov im Gespräch mit der Journalistin Marinela Liptscheva-Weiß und dem Übersetzer Milen Radev.
Ort: Bulgarisches Kulturinstitut
Leipziger Str. 114 – 115, 10117 Berlin
Eintritt: frei